Abgründe

Stefan Niggemeier beschreibt in seinem Urlaubsdomizil, was sich derzeit bei Stefan Herre abspielt: Der hat ein in der Wuppertaler Schwebebahn geschossenes Foto von zwei Fahrgästen online gestellt – ein bärtiger Mann und eine verschleierte Frau – , betrachtet es offenkundig als Beleg für die islamistische Bedrohung Deutschlands und fordert seine Leser auf, zu Paparazzi in islamophober Mission zu werden: Sollte es PI-Leser geben, die ähnliche Beobachtungen in ihrer Stadt machen, freuen wir uns über jede aussagekräftige Zusendung. Ok, ist halt der Herre, mag man denken und sich angewidert abwenden. Und auch viele der Kommentare dort geben so erschöpfend Auskunft über die geistige Verfassung ihrer Urheber, dass jede Reaktion vergebliche Mühe ist. Durch die Sache mit dem Foto aber, das erklärtermaßen gegen den Willen der Abgebildeten gemacht, unter Missachtung des Persönlichkeitsrechts veröffentlicht und in einen Kontext mit islamistischem Terror gezerrt wird, bekommt dieser Abgrund eine erschreckende Dimension.

Und prompt taucht, unter anderem in den Kommentaren verlinkt, im Netz eine weitere Grafik auf. Jemand hat das Bild von dem bärtigen Schwebebahn-Fahrgast neben ein Foto eines Mannes mit einem Hisbollah-Kopftuch montiert und suggeriert, es handele sich um dieselbe Person. Unter dem Dateinamen hisbollahinwuppertalpt8.jpg kursiert damit das Foto einer Person im Netz, von der nichts weiter bekannt ist, als dass sie einen Vollbart trägt und an einem bestimmten Tag die Wuppertaler Schwebebahn benutzt hat.

In Fällen wie diesen könnten all die Abmahnanwälte ausnahmensweise mal richtig sinnvolle Arbeit leisten – und die Veranstalter solcher Hexenjagden nebenbei auch auf Lebenszeit aus dem Internet aussperren.

Update: Stefan Niggemeier berichtet heute, das Bild sei vom Bloghoster entfernt worden, und teilt mit, welche Auskunft er von myblog-Betreiber Nico Wilfer zu diesem Fall bekommen hat.

Update 2: Nein, ich bin nicht Bestandteil einer so genannten Protest-Welle – auch, wenn die Aufnahme dieses Beitrags in diversen Anti-PI-Aktionisten-Listen das nahe legt. Jemand ist hingegangen und hat offenbar alle zu „Erstunterzeichnern“ gemacht, die Technorati in diesem Zusammenhang ausgespuckt hat. Oder so. Eine Art der Vereinnahmung, die sich nicht wesentlich von den Pauschalierungen bei PI unterscheidet. Seufz.

Hand aufs Herz

Nachdem so viele Deutsche ihre Liebe zum eigenen Land entdeckt haben, so manches Händchen beim Absingen der Nationalhymne pathetisch auf die linke Brust gepresst wurde, dürfen Finanzämter in den nächsten Monaten doch sicher mit Nachzahlungen in Millionenhöhe rechnen? Vereine und soziale Einrichtungen mit tausendfachen Angeboten, ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen? Bettler in den Fußgängerzonen deutscher Großstädte mit ein paar Euros mehr in ihren Pappbechern? Sozialämter mit Rückzahlungen? Und Arbeitslose mit Jobs in Unternehmen, deren Chefs sich auf ihre gesellschaftliche Verantwortung besonnen haben, auch wenn es ein bisschen Rendite kostet?

Wir spielen ohne euch weiter

Hat Spaß gemacht, diese WM. Ganz unerwartet viel Spaß. Ausgelassenheit, herrlich schiefe Gesänge, mitteilsame Klamotten, Plaudertaschen in Uniform, jede Menge zugedrückte Augen, – das alles wurde unversehends Alltag. Hinter jeder offenen Kneipentür ein Fest, hinter jedem Gartenzaun eine Sause.

Das einzig Störende waren solche Feuilletonisten, die wochenlang wie besoffen von der Wiedergeburt des deutschen Patriotismus faselten, dass man sich schon manchmal sorgen musste, es ginge ihnen einer ab. Fürs nächste Mal also gilt: Wer meint, ein Anrecht auf öffentliche Deutung meiner persönlichen Gefühlslage zu haben und mich ungefragt zur Kronzeugin für die eigene Weltanschauung macht, der wird vom Platz gestellt.

Die lieben Verwandten

Neuseeland hat es getan, nun diskutiert auch Spanien auf Initiative der Regierung, ob es sich dem Projekt Großer Menschenaffe anschließt. In Medien wird das Ganze verkürzt abgehandelt unter der Schlagzeile: Menschenrechte für Menschenaffen?

Gorillas, Schimpansen, Orang-Utans und Bonobos, so die Idee der Initiative Great Ape Project des umstrittenen Philosophen Peter Singer , seien Menschen so ähnlich, dass ihnen die gleichen Grundrechte (Leben, Freiheit, körperliche Unversehrtheit) zugestanden werden sollten. Sie würden Gefühle zeigen, Werkzeuge benutzen, sie lebten in Beziehungen, hätten eine Wahrnehmung für die Vergangenheit und würden Pläne für die Zukunft machen. Wichtigstes Argument: Sie sind genetisch mit uns verwandt.

Manche Tiere sind eben gleicher – das wusste schon George Orwell. Und das ist es auch, was mich an der Initiative irritiert: Dass die genannten Kriterien eine Grundlage bilden sollen, um der einen Art mehr Rechte zuzubilligen als einer anderen. Dass sich das Ausmaß des Respekts vor einem Lebewesen an dessen Genen orientieren soll – und am Grad der Ähnlichkeit mit uns Menschen. Und dass wir Menschen wiederum uns das Recht nehmen, aus der unglaublichen Vielfalt der Schöpfung einige wenige Arten auszuwählen, denen wir ein Stückchen unserer Krone abgeben, während wir alle anderen weiterhin einsperren, ausbeuten, verletzen, quälen und töten, weil es uns von Nutzen ist. Oder weil uns einfach danach ist.

Vielleicht bemisst sich Menschsein auch an der bewussten Achtung vor dem Leben. Dann ist es aber im Grunde doch egal, ob dieses Leben einem Menschenaffen gehört oder der Fliege an der Wand.

Schweine in Halberstadt

Wie gern wäre man Mäuschen gewesen, als die Politiker des Landkreises Halberstadt über ein Verbot des Konstantin-Wecker-Konzerts in einem Gymnasium beraten haben. Was wird am Ende ausschlaggebend gewesen sein, dass ihr vor den Rechten des Schwanz eingezogen und auf Druck der NPD das Anti-Nazi-Konzert untersagt habt? Die Angst um das Mobiliar? Die Sorge, dass die Öffentlichkeit mitbekommt, wieviel braunes Gesocks man in und um die eigenen Stadtmauern beherbergt?
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Think big

Um die Gleichstellung von Frauen und Männern in der privaten Wirtschaft voranzutreiben, ist ein intensiver gesellschaftlicher Dialog mit den betroffenen Gruppen erforderlich.

Aus einer Pressemitteilung der Gruppe der Frauen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Weltfrauentag am 8. März.