Schmidt und Schätzing

Bei Kiepenheuer & Witsch lehnt Frank Schätzing in verwaschener Jeans und Lederjacke am Stehtisch, umringt von Menschen, plaudert, gibt immer wieder Autogramme. Schräg gegenüber sitzt Kathrin Schmidt in braunem Rock und brauner Jacke mit einer Kollegin vom Fernsehen am Tisch, lässt sich interviewen und fällt kaum auf.

Seit Wochen ist Schätzing scheinbar omnipräsent, man konnte dem „Limit“-Autor kaum entgehen. Der Mann versteht es, sich zu vermarkten. Seine Themen sind für ein größeres Publikum zugkräftig, sein Auftreten souverän, und so zieht Schätzing die Talkshow-Macher an wie einen Schwarm (haha). Schätzing ist eine Rampensau.
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Wahl-Nachwehen

Natürlich wird Guido Westerwelle den Koalitionsvertrag unterzeichnen, auch wenn darin nicht „einfachere, niedrigere und gerechtere Steuern“ festgeschrieben sind. Es wird sich schon eine Formulierung finden. Eine, die darauf hindeutet, dass man sich bemühen will, in der kommenden Legislaturperiode mittelfristig das Steuersystem total gerecht zu gestalten und irgendwie auch zu vereinfachen. Konkreteres wird da kaum stehen. Schau’mer mal. Noch haben wir ja Krise, und die geht vor. Und sowieso müssen wir erstmal Kassensturz machen.

Kassensturz, das ist der Joker für jede neue Regierung. Der Generalvorbehalt. Versprechen umsetzen? Steuern senken? Wir würden ja, aber wenn sich beim Kassensturz erweist, dass es nunmal nicht geht … was soll man machen. Ich finde das ulkig. Ich stelle mir dann vor, wie die neuen Minister am ersten Arbeitstag die Büroräume ihrer Vorgänger betreten, im Schlepptau einen Innenarchitekten und einen Hausmeister, dessen Aufgabe es ist, die abgeschlossenen Schreibtischschubladen gewaltsam zu öffnen, damit man endlich einen Blick in die Kontoauszüge der Republik werfen kann.

Warum tut eigentlich jede neue Regierung so, als habe sie zuvor keinerlei Einblick in die Finanzlage des Landes gehabt? Als hätte sie nicht im Bundestag alljährlich über Haushalt und Nachtragshaushalt mit abgestimmt? Was haben denn die Vertreter der früheren Opposition im Haushaltsausschuss gemacht – Petersilie ins Ohr gesteckt und mit ihren Blackberrys gespielt?

Natürlich unterschreibt Guido Westerwelle den Koalitionsvertrag, und selbstverständlich wird er Vize-Kanzler. Dass er Außenminister wird, bezweifle ich. Ich glaube einfach nicht, dass er das Amt wirklich (noch) will. Eigentlich schade: Wir hätten ihn aus den Füßen (und dazu noch ab und zu was zum Schmunzeln).

Kleine Korrektur

Die Nachrichtenagentur … hat am 15. September 2009 über den Prozess gegen die „Sauerland-Gruppe“, den Angeklagten Daniel S. mit der Aussage zitiert, die Angeklagten hätten sich bezüglich der angedachten Anschlagsziele gegenseitig „hochgesteigert“, und dabei sei auch vom „Papst“ die Rede gewesen. Dies ist falsch und wird hiermit korrigiert. Statt vom „Papst“ war von „pubs“ die Rede.

Wahlwerbung

Wahltag – ein Tag der Illusionen. Jedenfalls für Jean-Jacques Rousseau. Über die Engländer schrieb er 1762:

Das … Volk glaubt frei zu sein, es täuscht sich gewaltig, es ist nur frei während der Wahl der Parlamentsmitglieder; sobald diese gewählt sind, ist es Sklave, ist es nichts. Bei dem Gebrauch, den es in den kurzen Augenblicken seiner Freiheit von ihr macht, geschieht es ihm recht, dass es sie verliert.

Wenn wir die Politiker haben, die wir verdienen – dann werden wir wohl auch die Show verdient haben, mit der uns Politik serviert wird. „Politische Journalisten“ wie Ulli Deppendorf, der vor dem TV-Duell zwischen Steinmeier und Merkel über die wahnsinnig große Spannung im Studio schwadroniert und zwei Stunden später erklärt, dass alles so sachlich und nüchtern abgelaufen sei „wie von uns erwartet“, haben wir dann wohl nicht anders verdient. Neben Anne Will vor dem Duell und Anne Will nach dem Duell hätten wir eigentlich auch noch Anne Will während des Duells verdient, zur Halbzeitpause – aber das bekommen wir wohl erst in vier Jahren.

Neben einer Patricia Riekel, die gern mehr über den Pflaumenkuchen des Herausforderers gehört hätte, und einem arrogant-abgeklärt wirkenden Günther Jauch, der sich gar nicht erst Mühe gab, seine Genervtheit zu verbergen, wirkte ausgerechnet Edmund Stoiber geradezu erfrischend: Als einziger in der Runde hatte er nicht verstanden, dass es um Performance geht, nicht um Politik. Verbissen machte er Wahlkampf, wo andere augenzwinkernd die ihnen zugedachte Rolle als Jurymitglied der Castingshow ausfüllten – gelangweilt wie Klaus Wowereit oder peinlich bemüht wie Claus Peymann. Am Ende rutschte Stoiber auch noch die bittere Wahrheit heraus, dass heutzutage „natürlich niemand mehr Visionen hat“.
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Luftschiff-Parade

Vor 99 Jahren landeten drei Zeppeline, die fünf Stunden zuvor in Köln gestartet waren, in Bad Homburg nördlich von Frankfurt vor den Augen von Kaiser Wilhelm II., der hier gern kurte. Zweck der Übung: Der Kaiser wollte sich und dem Volk vor Augen führen, dass das deutsche Reich über eine militärisch einsetzbare Transporttechnologie verfügt.

Im Jahr 2000 hat die Kurstadt die Luftschiff-Parade wiederentdeckt und lässt seither auf einem Stoppelfeld am Stadtrand vor der Skyline von Frankfurt alle zwei Jahre – im Wechsel mit dem Ballonfestival Montgolfiade – imposantes Fluggerät am Himmel aufsteigen. Vielleicht sind sich die Veranstalter nicht ganz sicher, ob – wie ein Jahrhundert zuvor – allein der Anblick der Luftschiffe das Publikum hinreichend begeistert, und denken sich deshalb Spielchen wie das „Luftritter-Turnier“ aus, bei dem die Crew Quietsche-Entchen vom Boden auflesen und Luftballons zerstechen muss. Alles ist Event. Amüsant war es trotzdem.

Kleine Audioslideshow:

Stand der Dinge

Es hätte so schön sein können: Endlich ein Film, der von einer der spannendsten Phasen in der Geschichte der Medien erzählt. Ein Film, der beide Seiten eines Grabens beschreibt, der sich durch viele Redaktionen zieht: Auf einer Seite der Print-Journalist alter Schule, mit großer Leidenschaft bei der Sache, der mit einer gewissen Arroganz auf das Web und seine Protagonisten herabsieht, an seiner altbewährten Arbeitsweise festhält und am Ende doch nicht an der Tatsache vorbeikommt, dass seine Berufswelt nicht mehr ist, wie sie einst war. Und auf der anderen Seite eine Online-Journalistin, ebenso leidenschaftlich bei der Sache, ebenso wie ihr Kollege überzeugt, auf der richtigen Seite zu stehen, die lernen muss, dass neue Technologien altes Handwerk nicht komplett ersetzen können. Es hätte ein Film werden können, der zeigt, wie Print- und Onlinejournalismus zusammenwirken, sich gegenseitig befruchten, ergänzen können. Dass das eine nicht qua Definition wertvoller ist als das andere. Dass seriöser Journalismus seriös bleibt, ob gedruckt, gesendet oder auf dem Bildschirm, und dass Boulevard Boulevard bleibt, ob auf Zeitungspapier oder als Pixel. Ein Film, der seinen Titel verdient hätte: State of Play – Stand der Dinge.
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