Die Eroberung der Geschichtsschreibung

Das Dritte Reich gehört ihm schon lange, auch den Vatikan hat er längst besetzt. Er macht uns das Wunder von Bern und den Kalten Krieg und die deutsche Einheit so gegenwärtig, dass die Vergangenheit dagegen verblasst. Ob Nazis oder Topspione oder Päpste, über sie alle flüsterte er uns so viele intime Details zu, dass sie ungewollt zu guten Bekannte wurden. Beim Untergang Dresdens dürfen wir dieser Tage live dabei sein. Und kürzlich hat er auch noch die Ex-DDR geschluckt.

Manchmal wird mir ein wenig bang angesichts der Knoppisierung unserer kollektiven Erinnerung.

Aus der Reihe Verkannte Spione

Heute: Die Stasi-Vase.
Ja, die gab es. Schwarz, bauchig, glänzend, mit einem weißen Emblem, auf dem eine rote Fahne am Lauf eines aufgestellten Maschinengewehrs im Wind flattert… romantisch.
Es gibt sie noch, ein Exemplar mindestens. Das steht im Wendemuseum in Los Angeles, wo drei junge Amerikaner Artefakte des Sozialismus ausstellen. Zwischen 20 Jahrgängen Neues Deutschland, Pionierhalstüchern, Bummi-Heftchen und dem Original-Tisch-Gong, mit dem die SED-Kreisleitung Brandenburg zu ihren Sitzungen rief, zeugt die Stasi-Vase dort von der lange unterschätzten Naturverbundenheit ostdeutscher Agenten.

Hinter vorgehaltener Hand

Zwischen den unvergessenen Jahren 1991 und 2002 war mein Zuhause ein ehemaliger Bauernhof in einem Fachwerkstädtchen im Taunus – in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Gebäude, das einst ein Wohnhaus von imposanter Größe gewesen war. Zu meiner Zeit wurde es längst als Geschäftshaus mit Laden im Erdgeschoss und Lagerräumen in den oberen Stockwerken genutzt – die Lage günstig, die Räumlichkeiten üppig – und die Besitzer vermögend.
Es hieß, dass Haus habe früher einer jüdischen Familie gehört. Es hieß, die jetzigen Besitzer hätten es irgendwann „übernommen“. Es hieß, der Verbleib der eigentlichen Eigentümer sei unbekannt.
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Schweres Erbe

Im Nachlass meiner Mutter findet sich ein vergoldeter Männerring, in den jemand einst mit einem spitzen Gegenstand ein Wort und eine Jahreszahl geritzt hat:
DARNIZA 1943.
Vielleicht ein russischer Frauenname? Ich stellte mir eine heimliche Romanze meines Großvaters vor, von dem ich weiß, dass er ein oder zwei Jahre nach dem Krieg aus russischer Gefangenschaft zurückkehrte. Ich lächelte. Dann gab ich den Namen in eine Suchmaschine ein. Und wurde fündig.
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