Der Supermarkt unseres Vertrauens wurde von Räubern heimgesucht. „Die beiden Männer drangen in die Büroräume ein und bedrohten eine 56-jährige Angestellte sowie den 27-jährigen Marktleiter mit einer
Schusswaffe“, fasst die Polizei später zusammen. Nun begegne ich bei meinen nahezu täglichen Versorgungsgängen in diesem Laden fast ausschließlich weiblichem Personal, aber es scheint, als habe sich seit meiner (weit zurückliegenden) Zeit als Aushilfs-Kassiererin und Parkplatz-Fegerin nichts daran geändert: In den Supermärkten der Republik schuften zwar deutlich mehr Frauen als Männer, die lukrativeren Posten der Marktleiter aber teilen immer noch die pickeligen jungen Kerle unter sich auf, die am Eingang von dem „Was-können-wir-für-Sie-tun“-Plakat grinsen.
Frankfurt
…am Main!
Fremde Hände
Unbeständig, 11 Grad. Geht als regnerischer Frühlingstag durch, meine ich. Also dann.
Ich hatte meinen Koffer nur wenige Momente aus den Augen gelassen, als ich in dem Buchladen am Frankfurter Hauptbahnhof nach Reiseliteratur schaute. Immer wieder sah ich von den Buchtiteln auf und hinüber zu der Stelle, wo ich mein Gepäck abgestellt hatte. Und während ich aufmerksam Wäsche und Zahnbürste im Auge behielt, stahl mir jemand aus dem Rucksack, den ich am Körper trug, die Geldbörse.
Dumm gelaufen.
Hab ich dir nicht immer gesagt: Pass auf, Kindchen, die Welt ist böse!, meinte der weltbeste Kollege später. Jaja. Hinterher, und so. Niemals Wertsachen auf dem Rücken tragen. Geld und Papiere getrennt aufbewahren. Ich bemerkte den Diebstahl erst, als ich im ICE nach Hamburg saß (ohne gültiges Ticket), und es dauerte wiederum eine knappe Stunde, bis mir der Rempler im Buchladen wieder einfiel. Klassisch. Tausendmal gesehen, sogar selbst drüber geschrieben, und dann das. Peinlich.
Das Aufnehmen einer simplen Anzeige gegen Unbekannt lässt einen einfachen Computer bei der Bundespolizei in Hamburg mehrmals abstürzen. Ich frag mich: Wie wollen die da all die DSL-bewaffneten Dozenten auf der Universität des Terrors dingfest machen? Der Polizeibeamte, Typ Jan Fedder, macht sich wiederholt über meinen zweiten Vornamen lustig, hört damit aber abrupt auf, als ich ihn nach seinem frage.
Unangenehmer als der Schaden ist der Gedanke daran, dass ein fremder Mensch von der Sorte, die anderen Leuten Geld stiehlt, meine privaten Fotos, meine bekritzelten Zettelchen, meine Nachrichten mit Erinnerungswert in seinen Händen gehalten hat. Dass mir jemand so nah gekommen ist, dem ich nie freiwillig diesen Blick auf mein Privatleben offenbart hätte. Alles andere ist ersetzbar. (Brauche ich überhaupt einen neuen Personalausweis? Und einen Führerschein, wo ich doch kaum noch Auto fahre?)
Fürs nächste Mal:
Zentrale Notfall-Sperre von Kredit- und EC-Karten (einheitliche Nummer für alle Institute): 116 116
Bundespolizei: 01805 234566
Fund-Service-Hotline der Bahn: 01805 990599
Nette Nachbarn gesucht
Mindestens fünf Zimmer, geschätzte 120 Quadratmeter mit – wie wir glauben – Parkett, riesige Fensterfront, dahinter ein großer Balkon mit Blick ins Grüne, unmittelbar am Ortsrand gelegen, fünf Minuten Fußweg zur S-Bahn und darin entweder 15 Minuten bis Frankfurt oder zehn Minuten bis Hanau – Interesse? Die Wohnung neben uns ist gerade frei geworden. Und wir wünschen uns endlich endlich nette Leute im Haus, deren Lebensinhalt nicht darin besteht, die Kinder ringsherum mit Beschimpfungen und die Erwachsenen mit Drohungen und Klagen zu überziehen. Mit denen man auch mal einen gemeinsamen Plausch auf der Dachterrasse halten oder sich das Katzensitting teilen kann. Kurz: Echte Nachbarn. Die alten waren keine, leider.
Verdachtsmomente
Die S-Bahn muss aufgrund polizeilicher Anordnung geräumt werden. Bitte steigen Sie alle aus.
Langsam, ganz langsam schleicht sich so etwas wie Gewöhnung ein. Man verlässt die Bahn, ruft beim Arbeitgeber an, um die Verspätung mitzuteilen, plaudert mit den anderen Wartenden am Bahnsteig, fragt sich scherzend, ob es wirklich so sinnvoll ist, eine S-Bahn wegen des Verdachts auf eine Kofferbombe zu räumen und sie dann am überfüllten Bahnsteig stehenzulassen, und lacht dabei ein wenig unsicher.
Wir tun nur so routiniert. In Wahrheit schauen wir uns immer öfter um. Betrachten herrenlose Gepäckstücke besitzerinnen- besitzerlose Gepäckstückinnen und Gepäckstücke (der Grund auch für diese Räumung) mit wachsender Unruhe. Beobachten aus den Augenwinkeln heimlich unsere Mitreisenden. Vermutlich werden wir bald wieder aufs Auto umsteigen und, erleichtert am Steuer eine Zigarette rauchend, über die Landstraße rasen. Sicher ist sicher.
Bis dahin bekommen wir Rat vom Boulevard, der aus jedem (Fehl-)Alarm Auflage saugt. Wie kann ich einen Verdächtigen erkennen? … Schwitzende Personen, Reisende mit schwerem Gepäck, Schwangere, Personen mit Sonnenbrillen und Mützen.
Bombendrohung
… bei der Frankfurter Rundschau. Das Gebäude war in wenigen Minuten geräumt – auch vom Kollegen S., der sich gerne bei der Lösung eines angeblich kniffligen CSS-Problems stören ließ. Zur Not auch durch eine Evakuierung.
Warten auf den Sprengstoffspürhund – der schnuppert sich gerade durch das Foyer.
Aber wir haben ja Zeit. Arbeiten kann man schließlich überall, nebenan in Harrys Bar zum Beispiel.
(Merke: Künftig halten wir mehr Abstand von verdächtigen Koffern.)
Held müsste man sein
Der Kerl war einer von diesen Macher-Typen. Einer, der kommt, sieht, das Kommando übernimmt – und wie selbstverständlich Dinge, die andere bereits getan haben, auf dem eigenen Konto verbucht. Normalerweise kommt mir beim Anblick von Männern dieser Art ein lockerer Spruch über die Lippen. Diesmal verbot das die Situation.
Er kam heute Nacht dazu, als wir uns an einer Landstraße um einen verletzten Radfahrer und dessen Freundin kümmerten. Fast hätten wir die beiden übersehen. Nur kurz war rechts am Waldrand etwas Weißes ins Scheinwerferlicht geraten, das sich bewegte. Es war das T-Shirt einer jungen Frau, die sich auf dem Radweg über ihren Freund beugte. Hätte er allein dort gelegen, wir hätten vermutlich nichts bemerkt.
Sie waren, wie auch immer, frontal mit ihren Fahrrädern zusammengestoßen. Hilfe brauchten beide: Der Mann war offenkundig verletzt, die Frau völlig verstört. Sie hatte, bevor wir dazukamen, nicht erkennen können, ob die Lache auf dem Asphalt das Blut ihres Freundes war. Später, beim Nachdenken über den Vorfall kurz vor dem Einschlafen, dachte ich, dass diese einsame Ungewissheit im Dunkeln wohl der furchtbarste Moment für sie gewesen sein muss.
Glücklicherweise war es kein Blut, sondern vermutlich der Inhalt einer Trinkflasche, die ausgelaufen war. Der Mann war ansprechbar. Er schrie schon bei leichter Berührung an der Schulter auf, wehrte sich aber vehement dagegen, den Notarzt zu alarmieren. Auch die Frau bat uns mehrfach, zunächst keine Hilfe zu holen – die Eltern ihres Freundes seien bereits auf dem Weg. Während Siebenstein trotzig zum Handy griff (aber aus einem Grund, den wir dringend noch klären müssen, nicht durchkam), stopfte ich dem Mann die Rolle Küchentücher unter den Kopf, die bislang in unserem Kofferraum ein unnützes Dasein führte, sammelte eine Brille von der Straße auf und lief mit dem Warndreieck los, denn das Ganze spielte sich gefährlich nah an einer Kurve ab. Wir sprachen ruhig mit beiden, trösteten mit Worten und Körperkontakt, so gut wir konnten, und blieben, bis wenige Minuten später die herbeigerufenen Eltern eintrafen – er die Ruhe selbst (was in dieser Situation ja keineswegs verkehrt ist), sie bleich vor Schreck. Ihr Auto ließen sie auf der Landstraße stehen, das Warnblinklicht eingeschaltet.
Der Mann agierte wie aus dem Lehrbuch: Kurzer Blick aufs Geschehen, Ansprache des Verletzten*, Handy, Notruf (diesmal ging’s – warum bei uns nicht?). Hilfe oder weitere Informationen von uns schienen ihm aber eher lästig. Seine Reaktionen klangen zunehmend genervt (Ja, schon klar. Wir schaffen das schon). Die Decke für den Verletzten schaffte seine Frau herbei. Sie war es auch, die uns beim Spenden von Trost und Zuspruch ablöste. Als ich losging, um mein Warndreieck einzupacken, behauptete er gerade in sein Telefon: Ich habe die Unfallstelle abgesichert.
Wir machten uns schweigend auf den Heimweg.
PS: Ein Online-Kurs Erste Hilfe ist wohl allenfalls geeignet als Vorbereitung für einen Auffrischungskurs in der nächsten DRK-Station, oder?
* Nachtrag: Siebenstein erinnert mich daran, was der Mann noch tat: Er versuchte, den Verletzten mit beiden Armen zu umfassen und hochzuheben, was den noch lauter schreien ließ.