Die Nachrichtenagentur Associated Press verbreitet soeben Fotos von der Website des Mannes, der heute in einer Schule im Münsterland Amok gelaufen, mehrere Menschen angeschossen und sich offenbar anschließend selbst getötet hat. Am unteren Rand des Bildes ist die Internetadresse zu erkennen; die Seite ist inzwischen gesperrt. Und bei Denic kann derweil jeder, der will, die vollständige Adresse des mutmaßlichen Amokläufers nachlesen.
Update: Die Printausgabe der FR vom 21.11. hat im Text den Namen des Mannes brav abgekürzt. Und das Foto mitsamt Internetadresse veröffentlicht. Schwierige Sache, das mit dem Inter-dings.
Ach, Jerusalem
Sechzig Jahre Krieg und Terror, viele Tausend Tote, zerfetzte Leiber und zerstörte Hoffnungen, gescheiterte Friedensverhandlungen, Zäune und Mauern – aber in eurem Hass, eurer Respektlosigkeit, eurer Intoleranz gegen Schwule und Lesben, da seid ihr euch plötzlich einig und so nah, dass kein Blatt Papier zwischen euch passt. Zum Kotzen.
Bilderverbot
Viele hätten es lieber nicht gesehen, das Bild vom entflohenen Vergewaltiger auf dem Dach der Dresdner Justizvollzugsanstalt. Ein Strafgefangener, der seine Wächter zum Narren hält, der sich feixend vor laufenden Kameras und klickenden Fotoapparaten inszeniert, während sein Opfer seiner Aussage im Prozess entgegenbangt. Eine Schande, ja – aber eine, die man nicht zeigen darf?
Man kann bedauern, dass in der Mediengesellschaft der Kampf um Aufmerksamkeit vor allem über visuelle Reize ausgetragen wird – zu ändern ist das nicht, und wer die Schuld daran allein den Medien zuschiebt, verdrängt den eigenen Hang zum Hinschauen. Die Gleichung ist so simpel wie wirtschaftlich einleuchtend: Geliefert wird, was verlangt wird.
Wir erwarten von Medienunternehmen mehr Moral als von jenen, die über ihren Fortbestand entscheiden. Zu Recht. Aber es bedarf schon verdammt guter Gründe, einen Vorgang, von dem es Bilder gibt, nicht zu zeigen. Journalisten, Sender, Verlage müssen sich jedesmal aufs Neue fragen, ob solche Gründe vorliegen. (Blogger auch.) Man kann darüber streiten, ob sich an Ziffer 11 des Pressekodex (Verzicht auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt und Brutalität) noch immer die Mehrheit oder womöglich nur noch eine Minderheit der deutschen Presse gebunden fühlt. Dann sollte man allerdings auch diskutieren, warum das so ist.
Die Vorstellung, wir hätten von dem unsäglichen Vorgang in Dresden zwar hören und lesen, ihn aber nicht im Bild sehen dürfen, ist absurd. Welche Gründe hätte es gegeben, den Mann auf dem Dach zwar zu beschreiben, ihn aber nicht zu zeigen? Das Opfer nicht noch mehr zu demütigen? Das war bereits passiert, als Stephanie von der Flucht ihres Peinigers unterrichtet wurde. Um dem Mann keine „Bühne“ zu geben? Die hätte er auch durch reine Wortberichterstattung. Seine Wächter haben sie ihm verschafft.
Viele hätten es lieber nicht gesehen, das Bild vom entflohenen Vergewaltiger auf dem Dach der Dresdner Justizvollzugsanstalt. Mit Sicherheit gehören die sächsischen Justizbehörden dazu, der Minister, der Direktor der JVA. Sie alle hatten Gründe, sich zu wünschen, dass ihnen nicht ganz Deutschland beim Versagen zusieht.
Und eben das ist die einzige Botschaft, die mir diese Bilder vermittelt haben. Der Staat, hilflos gestikulierend auf einer Hebebühne. Der lächerlich kurze Arm des Gesetzes.
RTFM
Aufgrund der zahlreichen Nachfragen aus dem Ausland hat das Presseamt der polnischen Regierung die heute herausgegebene Richtlinie für das Fotografieren des Premierministers durch eine leicht verständliche Anleitung ergänzt.
Wie aus Warschau verlautet, ist in Kürze eine Ausweitung der Regelung auf den Präsidenten geplant.
Alter Hut
US-Publizist Michael Kinsley sorgt sich im „Time“-Magazin über die Zukunft der amerikanischen Zeitungsbranche:
Künftig erhalten die Menschen ihr Weltbild von irgendwelchen irren Bloggern, die aus ihrer Unterwäsche schöpfen.
Künftig? In Deutschland verkauft sich die auflagenstärkste Tageszeitung seit mehr als 50 Jahren auf diese Weise. In jüngerer Zeit und dank fortgeschrittener Technik kritisch beobachtet von – nein, nicht von der Print-Konkurrenz, die beschränkt sich meist aufs Abschreiben, sondern von Bloggern.
Man muss Weblogs nicht für die Zukunft der Medienwelt halten, und Blogger nicht per se für die besseren Journalisten (wobei, eigentlich … aber lassen wir das). Dass die selbst ernannten Retter des Journalismus aber so tun, als würde nicht täglich millionenfach Klowand-Content durch die Rotation der Zeitungsdruckereien laufen, das finde ich immer wieder putzig.