Klinsi go home

Sehr geehrter Herr Klinsmann,

vielen Dank und alles Gute. Die WM ist vorbei, Deutschland Dritter, das Land selig – jetzt sollten Sie rasch nach Hause gehen, bevor der Wind sich dreht.

Vom gefeierten Helden zum geschmähten Versager – in Deutschland kann das ganz schnell gehen. Wer wüsste das besser als Sie. Bewundernswert, wie gelassen Sie das Schulterklopfen von Leuten ertragen, die Sie noch vor wenigen Monaten einen faulen Hund schimpften, dem die rechte Einstellung fehle. Auch hätte ich nur zu gern hinter Ihre Stirn gesehen, als Mayer-Vorfelder Sie ölig umarmte nach dem Sieg gegen Portugal.

Gehen Sie. Sie haben das Bestmögliche aus dieser Mannschaft herausgeholt. Mehr geht nicht, in vier Jahren erst recht nicht, denn dann fehlt die entscheidende Schubkraft, die Sie 2006 so clever zu nutzen wussten: der Heimspiel-Faktor. Dafür haben wir bis dahin wieder umso mehr Teer in den Tonnen und Federn im Sack. Sie haben was Besseres verdient – zum Beispiel, unter der Sonne Kaliforniens ihre Kinder großwerden zu sehen.

Tschüss, Jürgen. Und danke nochmal.

Wir spielen ohne euch weiter

Hat Spaß gemacht, diese WM. Ganz unerwartet viel Spaß. Ausgelassenheit, herrlich schiefe Gesänge, mitteilsame Klamotten, Plaudertaschen in Uniform, jede Menge zugedrückte Augen, – das alles wurde unversehends Alltag. Hinter jeder offenen Kneipentür ein Fest, hinter jedem Gartenzaun eine Sause.

Das einzig Störende waren solche Feuilletonisten, die wochenlang wie besoffen von der Wiedergeburt des deutschen Patriotismus faselten, dass man sich schon manchmal sorgen musste, es ginge ihnen einer ab. Fürs nächste Mal also gilt: Wer meint, ein Anrecht auf öffentliche Deutung meiner persönlichen Gefühlslage zu haben und mich ungefragt zur Kronzeugin für die eigene Weltanschauung macht, der wird vom Platz gestellt.

Held müsste man sein

Der Kerl war einer von diesen Macher-Typen. Einer, der kommt, sieht, das Kommando übernimmt – und wie selbstverständlich Dinge, die andere bereits getan haben, auf dem eigenen Konto verbucht. Normalerweise kommt mir beim Anblick von Männern dieser Art ein lockerer Spruch über die Lippen. Diesmal verbot das die Situation.

Er kam heute Nacht dazu, als wir uns an einer Landstraße um einen verletzten Radfahrer und dessen Freundin kümmerten. Fast hätten wir die beiden übersehen. Nur kurz war rechts am Waldrand etwas Weißes ins Scheinwerferlicht geraten, das sich bewegte. Es war das T-Shirt einer jungen Frau, die sich auf dem Radweg über ihren Freund beugte. Hätte er allein dort gelegen, wir hätten vermutlich nichts bemerkt.

Sie waren, wie auch immer, frontal mit ihren Fahrrädern zusammengestoßen. Hilfe brauchten beide: Der Mann war offenkundig verletzt, die Frau völlig verstört. Sie hatte, bevor wir dazukamen, nicht erkennen können, ob die Lache auf dem Asphalt das Blut ihres Freundes war. Später, beim Nachdenken über den Vorfall kurz vor dem Einschlafen, dachte ich, dass diese einsame Ungewissheit im Dunkeln wohl der furchtbarste Moment für sie gewesen sein muss.

Glücklicherweise war es kein Blut, sondern vermutlich der Inhalt einer Trinkflasche, die ausgelaufen war. Der Mann war ansprechbar. Er schrie schon bei leichter Berührung an der Schulter auf, wehrte sich aber vehement dagegen, den Notarzt zu alarmieren. Auch die Frau bat uns mehrfach, zunächst keine Hilfe zu holen – die Eltern ihres Freundes seien bereits auf dem Weg. Während Siebenstein trotzig zum Handy griff (aber aus einem Grund, den wir dringend noch klären müssen, nicht durchkam), stopfte ich dem Mann die Rolle Küchentücher unter den Kopf, die bislang in unserem Kofferraum ein unnützes Dasein führte, sammelte eine Brille von der Straße auf und lief mit dem Warndreieck los, denn das Ganze spielte sich gefährlich nah an einer Kurve ab. Wir sprachen ruhig mit beiden, trösteten mit Worten und Körperkontakt, so gut wir konnten, und blieben, bis wenige Minuten später die herbeigerufenen Eltern eintrafen – er die Ruhe selbst (was in dieser Situation ja keineswegs verkehrt ist), sie bleich vor Schreck. Ihr Auto ließen sie auf der Landstraße stehen, das Warnblinklicht eingeschaltet.

Der Mann agierte wie aus dem Lehrbuch: Kurzer Blick aufs Geschehen, Ansprache des Verletzten*, Handy, Notruf (diesmal ging’s – warum bei uns nicht?). Hilfe oder weitere Informationen von uns schienen ihm aber eher lästig. Seine Reaktionen klangen zunehmend genervt (Ja, schon klar. Wir schaffen das schon). Die Decke für den Verletzten schaffte seine Frau herbei. Sie war es auch, die uns beim Spenden von Trost und Zuspruch ablöste. Als ich losging, um mein Warndreieck einzupacken, behauptete er gerade in sein Telefon: Ich habe die Unfallstelle abgesichert.

Wir machten uns schweigend auf den Heimweg.

PS: Ein Online-Kurs Erste Hilfe ist wohl allenfalls geeignet als Vorbereitung für einen Auffrischungskurs in der nächsten DRK-Station, oder?

* Nachtrag: Siebenstein erinnert mich daran, was der Mann noch tat: Er versuchte, den Verletzten mit beiden Armen zu umfassen und hochzuheben, was den noch lauter schreien ließ.

Tschüss, Robert Gernhardt

Ich bin Robert Gernhardt vor einigen Jahren an der Mosel begegnet. Im Haus Waldfrieden der Winzerfamilie Stein in Alf kommen regelmäßig Schriftstellerinnen, Kabarettisten, Dichter, Musikerinnen beim Wein zusammen und gestalten literarisch-musikalische Abende. Das Schöne: Publikum und Künstler gehen danach nicht auseinander, sondern können im Haus übernachten, sich morgens beim Frühstücksbuffet wieder begegnen und weiter unterhalten – mit Tischnachbarn wie Gernhardt im wahrsten Wortsinne.

Dreißigwortegedicht
Siebzehn Worte schreibe ich
auf dies leere Blatt,
acht hab‘ ich bereits vertan,
jetzt schon sechzehn und
es hat alles längst mehr keinen Sinn,
ich schreibe lieber dreißig hin:
dreißig.

R. Gernhardt, 1937 bis 30.6.2006

Weichmacher

Palästinensische Extremisten des Volkswiderstandskomitees (PRC) haben am Mittwoch Beweise für die Geiselnahme eines weiteren Israelis präsentiert. Bei einer Pressekonferenz in der Stadt Gaza legte PRC-Sprecher Abu Abir die Fotokopie des Personalausweises eines Siedlers vor, der seit Sonntag vermisst wird…

… tickert Reuters heute.

Wie bitte? Pressekonferenz? Da hilft kein Augenreiben – das steht da wirklich. Entführer nennen ihre öffentlichen Bekennerauftritte „Pressekonferenzen“, ihre kriminellen Vereinigungen „Komitee“, ihre Wortführer „Sprecher“ – und wir Journalisten übernehmen blindlings dieses Vokabular, das aus Banditen Funktionäre macht?

Was kommt als nächstes – die Ankündigung neuer Untaten vor ausgewählten Medienvertretern als Power-Point-Präsentation, vorgestellt vom Al-Quaeda (AQ)-Pressesprecher?

Staatskarossen

Bei manchen dieser gleich mehrfach schwarz-rot-gelb-beflaggten Autos war ich schon versucht, kleine Zettelchen unter die Windschutzscheiben zu klemmen: Je größer der Fimmel, umso kleiner der… ach, was soll’s. Ist doch verständlich, dass man einfach mal das Gefühl haben möchte, wichtig zu sein. Bedeutend. Staatstragend!

(Ich bin nur neidisch. Hm. Ich könnte vielleicht schwarze Fähnchen verkaufen. Könnte bald Trend sein. Heute Abend schon.)


Powered by
BubbleShare