re-publica, Tag 1: Brauchen wir eine Blog-Etikette?

Markus Beckedahl und Johnny Haeusler bei der Eröffnung: „Es hat nicht zufällig jemand ’n Laptop dabei?“
Republica 2007

Republica 2007
Republica 2007
Republica 2007

Kurz vor 16 Uhr, ich komme endlich dazu, einen Happen zu essen – und der einzige freie Platz, den ich in der Kalkscheune finde, ist der neben dem Videoschirm, auf dem Felix Schwenzel, mit dem Laptop auf einem Klodeckel sitzend, aus wirres.net dauer-liest. Mahlzeit.

Nette Idee: Sämtliche Veranstaltungen im Hauptsaal sind live kommentierbar – per SMS. Jede Kurznachricht wird auf einer Leinwand vorne dargestellt (ein, zwei Bilder davon auch hier). Der Vortrag von Torsten Kleinz über Trolle im Netz ist eben zuende gegangen, jetzt heißt das Thema: „Brauchen wir eine Blog-Etikette? Wieviel Verantwortung braucht das Netz?“ Auf dem Podium (Pännel, muss man ja heutzutage sagen): Stefan Niggemeier, Don Dahlmann, Rainer Kuhlen (Uni Konstanz), Johnny Haeusler (Moderation).

(„Warum sitzen die Trolle jetzt vorne?“, hat eben jemand auf die Leinwand gesimst.)

re-publica 2007 Die Ethik der Schweine ist der Stall, sagt Prof. Dr. Rainer Kuhlen von der Uni Konstanz. Oder anders ausgedrückt: Unser Verhalten hängt von unserem Aufenthaltsort ab, von unserem Umfeld, verdichtet sich zu Normen, Regeln, Etiketten – und irgendwann kommen die Philosophen und machen daraus Ethik. Wir bewegen uns im Netz, brauchen also Regeln für diesen Bereich. Eine Netiquette gibt es längst. Aber: Wenn sich jemand nicht dran hält, sind (wirksame) Sanktionen nicht durchsetzbar.

Don Dahlmann meint: Man wird immer zehn, fünfzehn Prozent Idioten haben. Für diese wenigen sollte man keine Regeln aufstellen, wenn sich mehr als 80 Prozent der Leute im Netz benehmen.

Kuhlen: Bloggertexte sind meist pragmatische Texte. Schwierigkeit: Man weiß bei der anonymen Leserschaft oft nicht, wie ein Text aufgefasst wird – das Haupt-Dilemma. Denn jeder Blogger sollte sich über mögliche Konsequenzen im Voraus Gedanken machen. Als Journalist schreibe ich aber doch vielmehr in einen anonymen Raum rein, meint Stefan Niggemeier. Kuhlen: Journalisten erwarten gar keine Reaktionen, Blogtexte dagegen sind auf Wirkung, auf Reaktion hin geschrieben.

Der Fall der bedrohten Bloggerin Kathy Sierra wird herangezogen, um über Vor- und Nachteile von Anonymität zu sprechen. Ein Verbot von Anonymität im Netz würde Kreativität, Spontaneität mindern, warnt Kuhlen.

Der Sierra-Verleger O’Reilly hatte nach dem Vorfall folgenden Bloggerkodex vorgeschlagen:

  • We take responsibility for our own words and for the comments
  • We won’t say anything online that we wouldn’t say in person
  • We connect privately before we respond publicly
  • When we believe someone is unfairly attacking another, we take action
  • We do not allow anonymous comments
  • We ignore trolls

Don Dahlmann: Wenn du das Internet nutzen willst, dann musst du auch damit rechnen, das andere es genauso nutzen – du kannst nicht nur das eine (das „Gute“) im Netz haben, ohne das andere, die Trolle, die Deppen usw.

Frage aus dem Publikum per SMS-Kommentar: Wenn man das alles zulassen kann/muss/soll, von was für Sanktionen reden wir dann? Welche Etikette macht Sinn, wenn man sie nicht durchsetzen kann?

Stefan Niggemeier: Ich habe gerade das dringende Bedürfnis, über Don Alphonso zu reden. In seinem Blog gelten bestimmte Regeln nicht – Kommentare werden, nach Vorankündigung, gelöscht, Quellen nicht verlinkt, um keinen Traffic zu generieren… Es gibt Leute, die sich andere Regeln geben, und die somit auch andere Diskussionen ermöglichen.

Thilo Baum (im Publikum): Hat es Sinn, Regeln aufzustellen, die die vorhin erwähnten fünfzehn Prozent Idioten eh nicht interessieren – denn die halten sich eben gerade an diese Regeln nicht?

SMS-Kommentar: Wir sind nicht im Krieg, wir schreiben Zeug auf Webseiten.

Thomas Wiegold (im Publikum): Mich stört an der Fragestellung, dass so getan wird, als seien alle Blogger über einen Kamm zu scheren. An große Blogs werden ganz andere Erwartungen gestellt als an kleine. Müssen wir bei Regeln nicht differenzieren?

Thilo Baum (im Publikum): Ich überprüfe jeden Kommentar auf medienrechtliche Relevanz. Blogger sollten sich in Medienrecht schlau machen – Beleidigungen, Schmähkritiken kann man auch als Laie erkennen, aber nicht, was darüber hinausgeht.

Don Dahlmann: Diese Herangehensweise ist für Blogs Quatsch – das ist der alte Gatekeeping-Gedanke, der so nicht mehr funktioniert.

SMS-Kommentar: Die Diskussion über die Blog-Etikette ist wichtiger als die Etikette selbst.

Marcel vom Parteibuch (im Publikum): Wir sollten lieber darüber nachdenken, wie wir die Regeln lockern können, die es schon gibt. Nicht jeder ist als Medienrechtler geboren. Jeder sollte lernen dürfen, jeder sollte eine Stimme haben können. Man darf in Deutschland viele wahre Dinge nicht behaupten, weil sie einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellen.

Thomas Wiegold (im Publikum): Die Blogosphäre funktioniert anders als ein Printmedium, deshalb kann man hier mehr zulassen. Heute Morgen habe ich einen heiklen Kommentar im Blog zugelassen, der als Leserbrief sofort in den Papierkorb gewandert wäre, und es geschah, was ich gehofft hatte: Die Behauptung (es ging um die Wehrmacht) wurde von anderen Kommentatoren sehr schnell konterkariert.

Don Dahlmann: Auch der Rezipient, der Blogleser, braucht Medienkompetenz – er sollte anfangen, über den Informationswert nachzudenken, sowohl bei klassischen Medien als auch bei Blogs, und diesen wichtigen Prozess haben Blogs angetrieben.

Karsten Wenzlaff (im Publikum): Blogger sind ein konservativer und schizophrener Haufen. Einige versauen die Reputation der Blogosphäre durch zweifelhafte Reklame – das gehört in eine Diskussion über Blog-Ethik auch hinein.

Johnny Haeusler: Über Werbung in Weblogs haben wir morgen ausreichend Gelegenheit zur Diskussion…

Das war’s von dieser Veranstaltung. Weiter mit Musik.

Disclaimer: Es handelt sich um sinngemäße Zitate, nicht notwendig wörtliche – ich bitte alle Erwähnten um Verständnis und um Hinweis, wenn sich jemand falsch wiedergegeben fühlt …

Berlin ’07

Ich bin entsetzt. Mein Lieblingsladen, vollgestopft mit ausgemusterten Kostümen aus dem Fundus der nahen Komischen Oper, ein obligatorisches Ziel eines jeden meiner Berlinbesuche – er existiert nicht mehr!

Berlin StoryStattdessen breiten sich nun Ampelmännchen und in Plastik eingeschlossene Mauerbröckchen in den Räumlichkeiten aus.

Gibt’s ja auch kaum welche, hier, Unter den Linden. Zum Glück ist mein anderer Lieblingsladen, schräg gegenüber, noch da: Berlin-Story.
Und sonst, in Berlin im Frühjahr 2007?

Am Bahnhof Zoo ist alles auf Knut:
Hotel am Bahnhof Zoo

Hat die Zeitung eine Zukunft? In der Friedrichstraße gibt’s die Antwort.
Die Zukunft der Zeitung

In einer von Reisebüros und Airlines beherrschten Ladenpassage in der Budapester Straße tanzt jemand aus der Reihe:
Klare Ansage
Moabiter Mauern.
JVA Moabit
Abendspaziergang im leergefegten Tiergarten.
Abendspaziergang im Tiergarten

Siegessäule

Und aus dem Hotel der Spreeblick – ganz echt, ohne .com.
Spree-Blick

Auf der Zunge zergehen lassen

Die Redaktion habe ihr vorab versichert, sie positiv und sympathisch darzustellen, sich jedoch nicht daran gehalten,

zitierte dpa die Landrätin Gabriele Pauli, die nun erwägt, gegen die von „Park Avenue“ veröffentlichten Latex-Fotos rechtlich vorzugehen.

Erregung öffentlicher Erregung

Am Frankfurter Amtsgericht sprach eine Richterin in einem Scheidungsverfahren offenbar davon, dass die aus einem arabischen Kulturkreis stammende Ehefrau damit rechnen müsse, dass ihr Mann sie schlägt – siehe Koran-Sure 4, Vers 34 – und erkannte keinen Härtefall, der Bedingung für eine vorzeitige Scheidung wäre. Zitiert wird die Richterin so: „Für den marokkanischen Kulturkreis ist es nicht unüblich, dass der Mann gegenüber der Frau ein Züchtigungsrecht ausübt.“ Die – inzwischen vom Fall abgezogene – Richterin lehnte den Antrag ab, die Ehe vor Ablauf des vorgeschriebenen Trennungsjahres zu scheiden. Soweit die bislang bekannten Fakten.

Die Frankfurter Rundschau hatte den Fall Anfang der Woche publik gemacht. Am nächsten Tag erreichte die Geschichte die Startseite von Spiegel Online, von dort aus schwappten die Wogen weiter zu den anderen Nachrichten-Sites. Inzwischen werden Alice Schwarzer („Das geltende Rechtssystem wird seit langem systematisch von islamistischen Kräften unterwandert“), Necla Kelek („Apartheid“) und Seyran Ates („In Deutschland wird mit zweierlei Maß gemessen“) bemüht. (Ich schätze alle drei übrigens sehr.) Deutschland ist schockiert, befand Spiegel Online, nachdem man das übliche halbe Dutzend Stellungnahmen zusammentelefoniert hatte.

Inzwischen habe ich Bauchschmerzen bei dieser Geschichte. Was in der Aufregung mittlerweile fast unterzugehen droht: Die Richterin hat den Schlägen und Drohungen des Mannes ein Ende bereitet, und zwar, indem sie ein übliches juristisches Instrument angewandt hat: Sie sprach ein Näherungsverbot aus. Der Mann musste auf Abstand bleiben, und er soll sich daran gehalten haben. Möglicherweise hielt die Richterin die Frau durch diese Maßnahme für ausreichend geschützt – und lehnte deshalb ab, die Ehe schon vor Ablauf des Trennungsjahres zu scheiden. Man kann das für eine Fehlentscheidung halten. Wenn die Richterin sich bei dieser Entscheidung allerdings weniger von dem Verhalten des Mannes hat leiten lassen, als vielmehr von der Tatsache, dass das Paar dem muslimischen Kulturkreis entstammt, dann muss man es für eine Fehlentscheidung halten. Wie gesagt: wenn.

In der FR wird Hiltrud Stöcker-Zafari vom Bundesverband bi-nationaler Partnerschaften zitiert: „Der Verdacht bleibt, dass die Richterin bei einem Paar ohne ausländischem Hintergrund sofort auf Härtefall entschieden hätte.“ Hätte sie? Oder hätte sie nicht? Man weiß es halt nicht.

In der öffentlichen Diskussion spielen solche Feinheiten keine Rolle mehr. Hier muss der Fall als Beleg für die Verderbtheit der gesamten deutschen Justiz herhalten. Tag für Tag, so scheint es fast, werden in deutschen Gerichtsälen Entscheidungen auf der Basis des Korans getroffen. In den Kommentarspalten ist nachzulesen, was von der Geschichte beim Publikum angekommen ist: Eine Richterin urteilt nach der Scharia. Eine Richterin verweigert die Scheidung trotz schlagenden Ehemanns! Eine Richterin billigt Prügel!

Eines ist sicher richtig: Man muss sich stets bewusst machen, was einem blühen kann, wenn eine fragwürdige Entscheidung zwischen die Mahlsteine des schlagzeilenproduzierenden Gewerbes gerät.

Update: Gut wäre, wenn sich die Diskussion weitet und auf das Verhältnis zum Islam der meisten von uns erstreckt. Dazu könnte eine Erkenntnis gehören, die Peter Michalzik so formuliert: „Multikulturalismus und Islam können nicht koexistieren, wenn der Islam den Koran wörtlich nimmt – was er tut und immer mehr tut.“

Naturgesetz

Der Supermarkt unseres Vertrauens wurde von Räubern heimgesucht. „Die beiden Männer drangen in die Büroräume ein und bedrohten eine 56-jährige Angestellte sowie den 27-jährigen Marktleiter mit einer
Schusswaffe“, fasst die Polizei später zusammen. Nun begegne ich bei meinen nahezu täglichen Versorgungsgängen in diesem Laden fast ausschließlich weiblichem Personal, aber es scheint, als habe sich seit meiner (weit zurückliegenden) Zeit als Aushilfs-Kassiererin und Parkplatz-Fegerin nichts daran geändert: In den Supermärkten der Republik schuften zwar deutlich mehr Frauen als Männer, die lukrativeren Posten der Marktleiter aber teilen immer noch die pickeligen jungen Kerle unter sich auf, die am Eingang von dem „Was-können-wir-für-Sie-tun“-Plakat grinsen.